Die Blicke in der Pflegstraße
Donauwörth Katharina F. reiht sich seit zwölf Jahren ein in die Menschenschlange vor der Lebensmittelausgabe. Das entspricht der Zeit, in der es die Donauwörther Tafel in der Pflegstraße gibt. Die Mittvierzigerin schämt sich nicht dafür - aber die Blicke der Menschen auf die Wartenden, die spürt sie. Die Tafel der Caritas ist wichtig für Menschen wie Katharina F., um die Familie zu versorgen. Das mag sich ein wenig drastisch anhören und falsche Assoziationen wecken. Der Mutter von fünf Kindern zwischen sechs und 20 Jahren, die in einem Ort nahe Donauwörth lebt, sieht man die Bedürftigkeit auf den ersten Blick nicht an. Armut in Deutschland entspricht oftmals nicht den gängigen Klischees. Nur die Wenigsten müssen hierzulande mit dem Hut auf der Straße sitzen. Auch bei F. ist die Armut eher versteckt - F. ist nicht obdachlos, sie ist normal gekleidet, sie sei, wie sie sagt, "sehr glücklich, ein Dach über dem Kopf zu haben und ein warmes Zuhause" - vor ihrer Wohnung stehe sogar ein Apfelbaum. Viel sei das, sie sei dankbar dafür und eben auch für die Tafel in der Pflegstraße. Katharina F., die anders heißt, aber aufgrund noch immer wahrnehmbarer Stigmatisierungen an ärmeren Mitmenschen an dieser Stelle ein Pseudonym erhalten soll, sie hat es nicht immer leicht gehabt: Aufgewachsen im Osten Deutschlands zog sie aufgrund fehlender wirtschaftlicher Perspektiven in den 1990er Jahren nach Bayern, wo sie in der Folgezeit - inzwischen getrennt von ihrem damaligen Mann, aber bereits mit Kindern - wieder arbeitslos wurde. Das Geld reichte nie wirklich für alles, "es war immer verdammt knapp". Ein Bekannter erzählte ihr dann, 2004, von der Tafel. F. sagt heute: "Ich habe das nie als schlimm empfunden, hierhin zu gehen, von Anfang an nicht." Das habe wohl daran gelegen, sagt sie, dass sie in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen sei und zugleich nie Schwierigkeiten gehabt habe, mit ärmeren Menschen umzugehen: "Ich habe mich immer für die Menschen interessiert, das hat es mir wahrscheinlich leichter gemacht."
Inzwischen arbeitet F. als Haushälterin, in Teilzeit, vor allem der Kinder wegen. Das Geld sei jedoch nach wie vor recht knapp. Nach Jammern hören sich F.s Worte trotzdem nicht an. Caritas-Geschäftsführer Branko Schäpers verzeichnet inzwischen 800 Kunden bei der Donauwörther Tafel, die sich hier jeden Donnerstagvormittag bis 11 Uhr für einen symbolischen Preis Lebensmittel abholen können, welche Verbrauchermärkte in der Region und teils auch private Einzelspender regelmäßig stiften. Die Zahl der Hilfsbedürftigen sei im Zuge der Flüchtlingskrise stark angestiegen - zuvor hatte die Caritas noch zwischen 500 und 600 Kunden gelistet. Anfangs sei das Angebot noch relativ spärlich gewesen, berichten Schäpers und Katharina F. unisono - Milch, Mehl, Nudeln, Öl und Zucker sowie ein paar andere Lebensmittel, je nach Eingang. Inzwischen ist das Spendenaufkommen höher und das Sortiment größer, bis hin zur Kleinkindkost. 80 Ehrenamtliche arbeiten an vier Tagen in der Woche, je nachdem, wann und wie der Einzelne Zeit hat, damit die Tafel läuft. Sie fahren mit einem Lieferwagen die Märkte ab, holen die Waren, sortieren und geben sie an die Menschen aus, die donnerstags teils ab sieben Uhr vor dem Ausgabehäuschen in der Pflegstraße anstehen. Hieran wolle man etwas ändern, sagt Schäpers - die Menschen sollen fortan nicht mehr auf dem Präsentierteller an der Hauptstraße in Richtung Innenstadt warten und den Blicken der anderen ausgesetzt sein, die mehr haben. Katharina F. hätten diese Blicke nie getroffen, sagt sie, "weil es doch keine Schande ist, wenig Geld zu haben". Die Tafel soll im Laufe des kommenden Jahres an die Zirgesheimer Straße ziehen, in die ehemaligen Räume der Psychologischen Beratungsstelle. Sozialpädagoge Schäpers weiß aber auch von Menschen zu berichten, die sich schwer täten, jegliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Seiner Meinung nach gründe dies aber oft auch auf "falschem Stolz" - doch einige wüssten schlichtweg nicht, an wen sie sich wenden sollten in der Not. Die Tafel der Caritas wolle indes als christliche Einrichtung jedem Bedürftigen helfen, ohne Ansehen der Person, Herkunft und ohne zu fragen, warum der Mensch gerade sehr wenig hat. Katharina F. wünschte sich schlichtweg ein wenig mehr Respekt. Sie sagt das auch im Hinblick auf ein paar Kunden der Tafel. Eine mitunter recht hohe Forderungshaltung in der Gesellschaft mache auch vor den Ärmeren in einigen Fällen offenbar keinen Halt mehr. "Das tut mir in der Seele weh", sagt sie. Sie hingegen schätze und achte die Hilfe: "Ich erlebe hier auch viele Momente der Zufriedenheit." Auch wenn sie nicht reich sei - oder, wie sie meint, vielleicht gerade deshalb.Wer sich bei der Tafel der Caritas engagieren möchte oder Hilfe braucht, kann sich an Branko Schäpers wenden, Telefonnummer: 0906/ 70920711.